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Jakob van der Nüll – Grossbürger und Sammler in Wien an der Wende zum 19. Jahrhundertbuch 2

 

Helmut W. Flügel, Peter Huber, Simone Huber und Anna Wachan (2011)

 

Verlag des Naturhistorischen Museums Wien

 

 

 

 

Früher oder später entdeckt fast jeder ernsthafte Mineraliensammler die Faszination der Geschichte unseres Interessensgebietes. Fragen wie „wo stehen meine Stücke in einem historischen Kontext, wann wurden sie gefunden, wer hat sie vielleicht schon in der Vergangenheit besessen und was wurde denn damals überhaupt als sammelnswert erachtet“, stellen sich gerade Sammlern von Stücken klassischer Fundorte immer wieder. Die Tatsache, dass der aktive Bergbau aus Europa faktisch verschwindet macht uns schon fast alle zu Sammlern ebensolcher „historischer“ Mineralien.

Dies ist Anlass für mich, ein kürzlich erschienenes Buch vorzustellen, dass sich mit einer faszinierenden Sammlerpersönlichkeit beschäftigt: Jakob Friedrich van der Nüll. In einer akribisch recherchierten und umfassenden Arbeit beschreiben die Autoren Helmut W. Flügel, Peter Huber, Simone Huber und Anna Machan die Herkunft, das Leben und die exzessive Sammeltätigkeit eines der bedeutendsten Sammler der k. k. Monarchie (Flügel et al., 2011).Die Details zur großartigen Mineraliensammlung von Herrn van der Nüll sind nicht zuletzt deshalb so genau bekannt, weil Friedrich Mohs, der erste Kustos der Mineraliensammlung des Grazer Joaneums, sieben Jahre bevor er dem Ruf Erzherzog Johanns nach Graz folgte, die Van der Nüll’sche Mineraliensammlung ordnete, ausführlich beschrieb und publizierte. Das Resultat war ein dreibändiges Werk mit dem Titel „Des Herrn Jac. Fried. von der Null Mineralien-Kabinet....“, das 1804 in Wien erschien (Mohs, 1804). An Hand der 3927 Mineralstufen der Sammlung entwirft Mohs sein eigenes, auf äußeren Kennzeichen gegründetes Mineralsystem.

J. F. van der Nüll (geboren 1750) stammte ursprünglich aus Köln, wo sein Vater Hofrat, Bankier und Betreiber einer Eisenhütte war. Wann Van der Nüll nach Wien kam ist zwar nicht genau bekannt, es ist aber davon auszugehen, dass er ab 1781 in Wien lebte. Nach einer mehrjährigen Tätigkeit in einer Bank wurde Van der Nüll Teilhaber der höchst erfolgreichen Großhandesfirma von Ignaz von Schwab. Eine Fabrik befand sich in Graz-Liebenau, es ist aber anzunehmen, dass sich Van der Nüll vornehmlich in den gehobenen Kreisen der Monarchiehauptstadt bewegte. Im Jahr 1802 heiratete Van der Nüll 52-jährig die viel jüngere und ausgesprochen hübsche Nichte seines Compagnons, Theresia Schwab. Die beiden hatten vier Kinder, aber der große Altersunterschied führte zu einer problematischen Ehe, die im Jahr 1815 geschieden wurde. Van der Nüll litt unter der Trennung sehr und bereitete 1823 selbst seinem Leben ein Ende.

Die Sammlungen von Jakob Friedrich van der Nüll umfassten neben Mineralien auch Conchylien, eine prachtvolle Bibliothek sowie Kupferstiche, aber nur die Mineraliensammlung erlangte Weltruf. Sie wurde von vielen bedeutenden Mineralogen der Zeit (z. B. Abraham Gottlob Werner) besucht und in höchsten Tönen gepriesen. Beeindruckend ist die Tatsache, dass Van der Nüll Stücke aus dem gesamten damaligen Erdkreis besaß, ein Faktum, das für die schon zur damaligen Zeit enge Vernetzung der Geschäftswelt spricht. Besonders gut vertreten waren natürlich Stücke aus der k. k. Monarchie. So beinhaltete die Sammlung ca. 200 Goldstufen und 50 Stücken mit Goldtelluriden aus Siebenbürgen, was wohl auf die gute Bekanntschaft Van der Nülls mit dem damaligen Provinzialkanzler von Siebenbürgen, Samuel von Brukenthal, zurückzuführen ist. Dagegen fällt die Anzahl von Stücken aus der Steiermark gering aus. Mohs zählt nur ca. 25 Stufen nicht sonderlich hoher Qualität auf. Das ist deshalb überraschend, weil der Bruder von Friedrich van der Nüll, Johann Noe, Montanist im Dienste des Stiftes Admont war und mehrere Hüttenbetriebe leitete. Damit hätte man eigentlich einen guten Zugang zu Mineralien aus dem damals aktiven Eisen oder Kupferbergbau in der Steiermark erwartet. Im Jahr 1827 verkauften die Erben Van der Nülls die gesamte Mineraliensammlung an das kaiserliche Hof-Naturalien-Kabinett um stattliche 18.000 fl. Dies entspricht einer Schätzung von ca. 1 Mio. Euro in heutiger Währung.

Das reich bebilderte und mit hoher Detailtreue verfasste Werk von Flügel und Koautoren ist eine interessante Lektüre und spannende Zeitreise. Sie erlaubt nicht nur einen tiefen Einblick in das Großbürgertum Wiens, sondern lässt auch teilhaben an der detektivischen Aufspürung faszinierender Objekte. So gelang es Simone und Peter Huber nicht nur bislang unbekannte Öl-Portraits des Ehepaars Van der Nüll zu ersteigern, sondern auch die originalen Mineralschränke der Sammlung in Frankreich ausfindig zu machen.

Mit dieser erstmalig erschienenen umfassenden Biographie des Jakob Friedrich van der Nüll ist es dem Autorenteam in besonderer Weise gelungen, dem interessierten Leser einen bemerkenswerten Einblick in die Kulturgeschichte des Sammelns zu vermitteln.

 

Literatur:

• Flügel, H.W., Huber, P., Huber, S. und Wachan, A. (2011): Jakob Friedrich van der Nüll – Großbürger und Sammler in Wien an der Wende zum 19. Jahrhundert. Verlag Naturhistorisches Museum Wien, 208 S.

• Mohs, F. (1804): Des Herrn Jac. Frid. Von der Null Mineralien-Kabinet nach einem, durchaus auf äußere Kennzeichen gegründetem Systeme geordnet, beschrieben, und durch Hinzuthuung vieler, dem gegenwärtigen Zustande der Mineralogie angemessener, erläuternder Anmerkungen und nöthiger Berichtigungen als Handbuch der Oryctognosie brauchbar gemacht von F. Mohs. 3 Abtheilungen, Wien (auf Kosten des Besitzers, und in Commission der Camesinaischen Buchhandlung). 3 Bände.

 

Anschrift des Verfassers:

Rudolf ZECHNER
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